Es wird in einer Portraitaufnahme Kristina Jeromin dargestellt. Expertin für nachhaltige Finanzwirtschaft und Transformationsfinanzierung

Impulsvortrag von Kristina Jeromin Industriestandort Deutschland: Wo möchten wir hin?

06.05.2025 6 Minuten Lesezeit

Der Industriestandort Deutschland steht vor großen Herausforderungen: Wie kann er sich transformieren, um die wirtschaftlichen und ökologischen Ziele zu erreichen? Die Frage muss beantwortet werden, bevor zentrale Aspekte wie die Finanzierung dieser Transformation gesichert werden können.

Über diese Schlüsselfrage und viele weitere Zukunftsthemen möchten wir mit unterschiedlichen Expert:innen diskutieren. Zum Auftakt moderiert Vorständin Dr. Nicole Arnold einen Impulsvortrag von Kristina Jeromin, Expertin für nachhaltige Finanzwirtschaft, zum Thema „Zukunft Industriestandort Deutschland – Sektoral effizient und sicher finanziert“. Wir haben die wichtigsten Punkte zusammengefasst. 

Dekarbonisierung kann nicht warten

Die Zeit für die Dekarbonisierung von Wertschöpfungsketten ist jetzt.
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Kristina Jeromin
Co-Leiterin, Initative „Made in Germany 2030", ehm. stellvertretende Vorsitzende des Sustainable Finance Beirats der deutschen Bundesregierung
So bringt Kristina Jeromin in ihrem Vortrag die Dringlichkeit der Aufgabe auf den Punkt. Unsere diversifizierten Industrien mit ihrer langen Erfolgsgeschichte bieten nicht nur großes Potenzial für die Zukunft, sondern auch ein solides Fundament für diesen nächsten entscheidenden Schritt. Dieser sei nicht nur ökologisch notwendig, sondern auch zentral für die Wettbewerbsfähigkeit, die Sicherung von Wohlstand und Arbeitsplätzen in Deutschland. 

Gerade Branchen wie Immobilien, Automobil und Stahl stehen dadurch aktuell vor großen Herausforderungen – und unter Zeitdruck. Denn sie müssen schnell handeln, um nicht den Anschluss zu verlieren, so Jeromin.  

Die drei Dimensionen der Transformation

Doch wie sollten wir diese Transformation am besten angehen? In ihrem Vortrag unterteilt die Expertin den Prozess in drei Dimensionen:

  1. Geschäftsfelder abbauen
  2. Geschäftsfelder umbauen
  3. Geschäftsfelder aufbauen

Der Abbau soll ihrer Ansicht nach vor allem in Bereichen stattfinden, die wir uns in Zukunft nicht mehr leisten wollen oder können – wie den fossilen Sektor. Gleichzeitig wird gerade in Geschäftsfeldern, die derzeit noch auf fossile Brennstoffe setzen, auch viel umgebaut. Der zwingend erforderliche Strukturwandel bietet eine Vielzahl an Möglichkeiten, neue Geschäftsfelder aufzubauen, zum Beispiel im Bereich der erneuerbaren Energien. 

Welche Rolle spielt die Finanzbranche?

Die Transformation ist, wie Jeromin konstatiert, aufgrund der globalen Multikrisen, die seit der Corona-Pandemie nicht mehr abreißen, ins Stocken geraten. Hinzu komme, dass immer wieder kurzfristige Wirtschaftsinteressen gegenüber langfristigen ökologischen und ökonomischen Zielen ausgespielt werden. Das sei derzeit etwa in den USA zu beobachten. All diese Faktoren bremsen das Voranschreiten der Dekarbonisierung und den Strukturwandel – weltweit, aber auch in Deutschland.  

Die Folge: Verunsicherung bei den Akteuren. Sowohl in der Industrie als auch im Finanzbereich. Gerade jetzt sei es ihrer Ansicht nach entscheidend, die Frage zu beantworten: „In welcher Welt wollen wir leben?“ – und darauf aufbauend ein klares Zielbild zu entwickeln, das man mit vereinten Kräften erreichen könne.  

Jeromin fordert einen politischen Rahmen, der klar aufzeigt, in welchen Bereichen Investments die Transformation effizient vorantreiben können. Die langfristig gesehen gute Nachricht für die Finanzbranche: Die für die Transformation benötigten Mittel können nicht allein durch öffentliche Investitionen gedeckt werden. Eine zielführende Verzahnung zwischen Finanzbranche und Realwirtschaft, aus privatem Kapital und staatlichen Investitionen sei entscheidend. Dabei spielen auch institutionelle Anleger eine wichtige Rolle. In Zeiten struktureller Veränderungen können sie genau an den Punkten ansetzen, an denen ihr Engagement am dringendsten benötigt wird.  
 

Ein Navigationssystem für den Systemwandel: Sektorale Transitionspläne

Ein Navigationssystem für den Systemwandel: Sektorale Transitionspläne 

Das sind Transitionspläne:¹

Transitionspläne sind strategische Managementinstrumente, die Unternehmen und Finanzinstitutionen dabei unterstützen, ihre Geschäftsmodelle nachhaltig zu transformieren. Sie definieren klare Ziele und Maßnahmen, um Klimaneutralität zu erreichen und berücksichtigen dabei alle Emissionsquellen, einschließlich Scope-1-, Scope-2- und Scope-3-Emissionen. Durch die Festlegung von kurz-, mittel- und langfristigen Zwischenzielen orientieren sich Transitionspläne an wissenschaftlich fundierten Klimaszenarien, wie dem 1,5°C-Ziel, und tragen so zur effektiven Umsetzung der Pariser Klimavereinbarungen bei.  
Um den Systemwandel verlässlich zu begleiten, sind genaue Pläne unverzichtbar. Sie fungieren wie ein Navigationssystem, das hilft, die Komplexität zu ordnen, Planungssicherheit zu schaffen und den Strukturwandel über verschiedene Legislaturperioden hinweg konstruktiv zu gestalten. Für die aktuell anstehende Transformation könnten laut Jeromin sektorale Transitionspläne eine gute Lösung bieten. 
 
Im Unterschied zu normalen Transitionsplänen betrachten sektorale vor allem einzelne Branchen und ihre Ziele. Denn auch wenn es viele Schnittmengen bei den Herausforderungen gibt, beispielsweise die Frage nach der Energieversorgung, steht jede Branche vor besonderen Herausforderungen, auf die es sich zu fokussieren lohnt. Ein zu umfassender Blick kann dabei im Weg stehen. Durch sektorale Transitionspläne können anhand der einzelnen Sektoren Blue Prints für zukünftige Transformationen erstellt werden, die Chancen und Risiken aufzeigen und als Guides fungieren können. So kann auch die Wirkung von Finanzströmen sichtbar gemacht werden. Vorschläge aus Deutschland könnten so nach Europa gebracht werden und als Positivbeispiele dienen.  

Dabei ist eine überparteiliche Teilhabe essentiell. Nur wenn sich alle Stakeholder beteiligen, kann eine Transformation gelingen. Jeromin fordert dafür einen klaren, verlässlichen Rahmen, damit Deutschland weiterhin ein starker Industriestandort bleibt. 
 

Zur Person: Kristina Jeromin

Kristina Jeromin ist Expertin für nachhaltige Finanzwirtschaft und Transformationsfinanzierung. Sie studierte Politikwissenschaft und Philosophie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz . Zwischen 2009 und 2020 war sie bei der Gruppe Deutsche Börse tätig, wo sie zunächst für das interne und externe Reporting von Nachhaltigkeitsthemen verantwortlich war. Ab 2015 leitete sie als Head of Group Sustainability das konzernweite Nachhaltigkeitsmanagement der Börse. 

Von April 2018 bis April 2024 war Jeromin Geschäftsführerin des Green and Sustainable Finance Cluster Germany, einem Zusammenschluss führender Finanzmarktakteure zur Finanzierung zukunftsfähiger Wertschöpfung. Seit Mai 2024 leitet sie die Initiative „Made in Germany 2030“, finanziert von der Stiftung Mercator, und arbeitet an sektoralen Finanzierungsstrategien für die Dekarbonisierung des Industriestandorts Deutschland.