Interview Yves-Maurice Radwan: „Die Richtung stimmt, aber das Tempo nicht“
10.10.2022 • 6 Minuten Lesezeit
Herr Radwan, in Deutschland treibt viele die Sorge um einen „Energienotstand“ um. Droht uns ein kalter Winter?
Grundsätzlich stimmt die Richtung: Der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien einschließlich Wasserstoff und der benötigten Strominfrastruktur ist unausweichlich und langfristig der einzige Ausweg. Kurzfristig allerdings sind wir gezwungen, für die nächsten ein, zwei Winter auch fossile Alternativen zum Gas wieder stärker zu nutzen. Das ist bedauerlich, aber derzeit leider unvermeidbar. Deshalb ist es richtig, dass die Regierung nun noch mehr Druck beim Ausbau der erneuerbaren Energien erzeugen will. Dort liegt aber der Hase im Pfeffer: Die Absichten sind gut und auch der Kurs stimmt, aber das Tempo nicht. Der Ausbau verläuft noch immer nicht schnell und entschlossen genug.
Aber man kann ja nicht innerhalb von ein paar Monaten die Versäumnisse aus Jahrzehnten nachholen, oder?
Das ist sicher richtig, wobei ich betonen möchte, dass wir nicht nur über Versäumnisse reden sollten. Inzwischen ist der Anteil der Erneuerbaren am deutschen Strommix mit etwa 50 Prozent ja recht beachtlich. Lange Jahre war Deutschland beim Ausbau der Erneuerbaren Vorreiter in Europa. Insbesondere den Ausbau der Windenergie haben wir jedoch nicht konsequent weitergeführt und unsere Spitzenposition verloren. Wir könnten schon wesentlich weiter sein. Umso wichtiger ist es jetzt, den Trend umzukehren. Doch noch immer stockt der weitere Ausbau, unter anderem weil Genehmigungsprozesse zu lange dauern und keine geeigneten neuen Flächen mehr ausgewiesen werden.
Wirtschafts- und Justizministerium sind gerade dabei, das zu ändern – auch mit Blick auf andere Formen der Energieinfrastruktur.
Das ist sicher richtig, wobei ich betonen möchte, dass wir nicht nur über Versäumnisse reden sollten. Inzwischen ist der Anteil der Erneuerbaren am deutschen Strommix mit etwa 50 Prozent ja recht beachtlich. Lange Jahre war Deutschland beim Ausbau der Erneuerbaren Vorreiter in Europa. Insbesondere den Ausbau der Windenergie haben wir jedoch nicht konsequent weitergeführt und unsere Spitzenposition verloren. Wir könnten schon wesentlich weiter sein. Umso wichtiger ist es jetzt, den Trend umzukehren. Doch noch immer stockt der weitere Ausbau, unter anderem weil Genehmigungsprozesse zu lange dauern und keine geeigneten neuen Flächen mehr ausgewiesen werden.
Der zweite große Sorgentreiber ist die Inflation, die eng mit dem Thema Energieversorgung und Energiepreise verknüpft ist. Bei der Bauindustrie war schon Monate vor Kriegsausbruch in der Ukraine von einer Baukostenexplosion die Rede. Wie sind Sie bei Ihren Projekten damit umgegangen?
Bei unseren Projektentwicklungen decken wir möglichst große Teile der Wertschöpfungskette selbst und aus eigener Hand ab. Dadurch haben wir den Preisdruck und die Umsetzungsphase besser unter Kontrolle. Zudem ist es elementar, mit Zulieferern und Baudienstleistern früh in die Abstimmung zu gehen, um sich frühzeitig ein klares Bild über Kosten und Lieferzeiten machen zu können. Insbesondere Komponenten mit derzeit sehr langen Lieferzeiten wie zum Beispiel Transformatoren erfordern dabei mit Blick auf eine planmäßige Fertigstellung eine besondere Aufmerksamkeit. Natürlich geht das Thema trotz aller Vorsicht nicht komplett an uns vorüber – ebenso wenig wie die gestiegenen Finanzierungskosten –, aber wir haben die Lage insgesamt gut im Griff.
Langfristig werden die höheren Gestehungskosten zumindest zum Teil auch vom höheren Ertragspotenzial infolge der gestiegenen Strompreise kompensiert werden können. Allerdings bleibt abzuwarten, ob wir nicht auch in Deutschland mit einem staatlichen Eingriff in den Markt rechnen müssen.
Lässt sich der Strombedarf Deutschlands überhaupt langfristig zu 100 Prozent aus Erneuerbaren decken?
Grundsätzlich ist das möglich, aber eine große Herausforderung – zumal der Strombedarf perspektivisch nicht sinken, sondern steigen wird, nicht zuletzt durch die Umstellung auf Elektromobilität und strombetriebene Heizungen. Der weitere entschlossene Ausbau der Erzeugungskapazitäten ist deshalb dringend erforderlich. Doch nicht nur das: Entscheidend ist nicht nur die produzierte Strommenge, sondern auch deren Grundlastfähigkeit. Um diese zu gewährleisten, müssen neben den Erzeugungs- vor allem auch die Speicher- und Netzkapazitäten ausgebaut werden: Pumpspeicher, Batterien, Power-to-Gas, „grüner“ Wasserstoff, smarte Übertragungsnetze und vieles mehr.
Zudem müssten die europäischen Stromnetze noch stärker integriert werden, um die Erzeugungsprofile zu diversifizieren und somit zu glätten. Und nicht zuletzt gilt es, möglichst alle erneuerbaren Energiequellen zu nutzen, also nicht nur Wind und Sonne, sondern auch Wasserkraft, Geothermie und Biomasse. Freilich wird die Hauptlast bei Windenergie und Photovoltaik liegen – also den beiden Erzeugungsarten, die auch für Commerz Real im Mittelpunkt stehen.