Es wird in einer Portraitaufnahme Kristina Jeromin dargestellt. Expertin für nachhaltige Finanzwirtschaft und Transformationsfinanzierung

Interview 4 Fragen an Kristina Jeromin - Expertin für Transformations-Finanzierung

22.12.2024 5 Minuten Lesezeit

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Kristina Jeromin
Co-Leiterin, Initative „Made in Germany 2030", ehm. stellvertretende Vorsitzende des Sustainable Finance Beirats der deutschen Bundesregierung

Du bist Teil des Sustainable Finance Beirats der Bundesregierung. Wer sollte aus deiner Sicht Initiator für die Weiterentwicklung der Infrastruktur sein?

Komplexe standortpolitische und wirtschaftliche Entwicklungen wie die des Um- und Ausbaus von Infrastruktur liegen nicht allein im Bereich der Verantwortung einzelner Akteure. Sie speisen sich aus den Impulsen von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik und sind über die Entscheidungsfindung bis hin zur konkreten Umsetzung abhängig von multiplen Faktoren. Mit dieser These möchte ich keinen der genannten Akteure von seiner Verantwortung entlasten, sondern vielmehr ein Verständnis für die Notwendigkeit ihres demokratischen Zusammenspiels schärfen. Sicherlich liegt es in der Verantwortung der Politik verlässliche Rahmenbedingungen für Gesellschaft und Wirtschaft zu schaffen. Aber Gesellschaft und Wirtschaft sind nicht nur aufgefordert diese einzufordern, sondern proaktiv an ihrer Gestaltung und der Umsetzung ihre Ziele mitzuwirken.

Du bist Expertin für Transformationsfinanzierung. Wie kann echte Transformation gelingen? Wen oder was braucht es dazu?  

Für eine gelingende Transformation ist ein geteiltes Verständnis vom Status quo und anvisierten Ziels sehr wichtig. Hier ist eine wissenschaftsbasierte Debatte von großer Bedeutung. Sie ermöglicht den Akteuren aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik einen informierten demokratischen Aushandlungsprozess, über die zu ergreifenden Maßnahmen. Hierbei gilt es natürlich immer die Sozialverträglichkeit des Prozesses im Blick zu behalten und fortlaufende Dialog- und Partizipationsmöglichkeiten zu schaffen. Man kann über diese Frage eine Dissertation verfassen, daher kann ich ihr in diesem Rahmen kaum gerecht werden. Hinsichtlich der Finanzierung der Transformation kann ich sagen, dass Planungs- und Erwartungssicherheit für die finanzierende Seite unabdingbar sind, gerade weil es sich hier zumeist um langfristige Investitionen handelt.

Du bist Co-Leiterin der Initiative Made in Germany 2030. Wenn du an den Wirtschaftsstandort Deutschland denkst, welche Herausforderungen, aber auch Chancen, siehst du und was können wir heute schon tun?  

Deutschlands wirtschaftliche Kraft beruht auf seiner leistungsstarken, wettbewerbsfähigen und diversifizierten Industrie. Dabei kann der Standort auf eine lange Geschichte zurückblicken. Ob Maschinenbau, Elektroindustrie oder chemische Produktion: Überall trifft man hierzulande auf traditionsreiche Unternehmen und Produkte, die weltweit für Innovationen und höchste Qualität stehen. Nicht umsonst genießt das Label „Made in Germany“ einen hervorragenden Ruf. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben Industrieunternehmen dabei immer wieder ihre Veränderungs- und Anpassungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Die Dekarbonisierung unserer Wertschöpfung stellt uns vor eine transformatorischen Aufgabe, die es gemeinsam in einen Erfolg zu verwandeln gilt.

Deutschland wird Schritt für Schritt zum klimaneutralen Industrieland und verbindet dies mit dem Anspruch, mit seinen Angeboten und Produkten auch künftig eine führende Rolle auf den Weltmärkten zu spielen. Nun gilt es das hierfür notwendige Kapital zu mobilisieren und genau da setzt Made in Germany 2030 an. Ziel ist es, eine parteiübergreifend verfolgte Strategie für die Finanzierung eines wettbewerbs- und zukunftsfähigen deutschen Industriestandortes zu erarbeiten. Die darin enthaltenen Handlungsempfehlungen sollen eine wichtige Grundlage für den industriepolitischen Diskurs im Hinblick auf den Ausbau widerstandsfähiger und dekarbonisierter Wertschöpfungsketten bilden. Das „schon“ in der Frage würde ich ehrlich gesagt streichen, denn wir sind alles andere als früh dran.

Gibt es für dich ein Vorbild hinsichtlich einer möglichen Vorreiter-Rolle zum Thema Infrastrukturwandel oder Transformation?  

In meinen Augen ist es wichtig anzuerkennen, dass jede Transformation einzigartig ist. Ich werde häufig gefragt, was an anderen Finanzplätzen in Sachen Transformationsfinanzierung besser läuft als in Deutschland. Ich halte wenig von diesen Vergleichen. Jeder Wirtschaftsstandort hat eine sehr eigene Struktur. Wie groß ist der Anteil von produzierender Industrie? Läuft die Beschaffung von Kapital eher über Banken oder über den Kapitalmarkt? etc. Wichtig ist, dass alle beteiligten Akteure an Bord sind und auch zu getroffenen Entscheidungen stehen, wenn es mal schwieriger wird und die Kritik laut. Verstehen Sie mich nicht falsch, wir müssen eine gesunde Fehlertoleranz entwickeln und immer bereit sein nachzusteuern. Aber wir dürfen nicht dem Irrglauben verfallen das Rad ließe sich zurückdrehen – das wäre wirtschaftlich und gesellschaftlich fatal.

Zur Person Kristina Jeromin

Kristina Jeromin ist Expertin für nachhaltige Finanzwirtschaft und Transformationsfinanzierung. Sie studierte Politikwissenschaft und Philosophie an der Universität Heidelberg. Sie war von 2009 bis 2020 bei der Gruppe Deutsche Börse beschäftigt und dort zunächst zuständig für das in- und externe Reporting von Nachhaltigkeitsthemen. Ab 2015 bis Ende 2020 verantwortete sie als Head of Group Sustainability das konzernweite Nachhaltigkeitsmanagement der Börse, in deren Rollen als internationaler Kapitalmarktorganisator, selbst börsengelistetes Unternehmen und DAX-Mitglied. Von April 2018 und bis April 2024 war Sie Geschäftsführerin des Green and Sustainable Finance Cluster Germany, einem Zusammenschluss führender Finanzmarktakteure zur gezielten Finanzierung von zukunftsfähiger Wertschöpfung. Seit Mai 2024 leitet sie unter anderem die Initiative „Made in Germany 2030“, die von der Stiftung Mercator finanziert wird. Hier arbeitet sie an sektoralen Finanzierungsstrategien für die Dekarbonisierung des Industriestandorts Deutschland.